Der heutige Alltag ist stark von Ablenkungen und Außenreizen gekennzeichnet. Auch im kindlichen Alltag gibt es wenige reizfreie Pausen. Sie sind daher oft in automatischen Reaktionen auf diese äußerlichen Impulse gefangen. Zusätzlich empfinden sie Stress durch viele Freizeitaktivitäten und hohe Anforderungen in der Schule. Diese Aspekte verstärken das „außer sich sein“. Kinder und Jugendliche verbringen genauso wie Erwachsene nicht genügend Zeit mit sich in Kontakt – mit ihren Emotionen, ihren Körperempfindungen, ihrer Gedanken- und Gefühlswelt. Der fehlende Kontakt mit sich selbst lässt sie immer abhängiger von Außenreizen werden. Sie reagieren auf jeden Impuls von außen. Kinder werden dadurch unkonzentriert, unausgeglichen und emotional instabil. Es fällt ihnen schwer, sich selbst zu regulieren und ihre Impulse zu kontrollieren. Sie haben Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen, Krankheiten, Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen sind die Folge.
Durch die Achtsamkeit lernen Kinder, dass sie eine Wahl haben, wie sie auf Reize von innen oder außen reagieren können. Sie lernen, dass sie Emotionen haben können und sie nicht verdrängen oder ausagieren müssen, sondern sie wahrnehmen und entsprechend regulieren können. Mit der Übung können ihre impulsiven Reaktionen immer häufiger zu achtsamen Antworten werden. Damit fühlen sie sich dann wohler, sicherer und authentischer.
„Für Kinder und Jugendliche, die ständig von einer Armada von Außenreizen, aber auch von inneren Leistungsanforderungen, Befürchtungen und Selbstzweifeln bestürmt werden, kann die Haltung der Achtsamkeit eine echte Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wenn also gerade ab dem zehnten, elften Lebensjahr mit der Entwicklung des Frontalhirns die Fähigkeit zur Selbstreflexion einhergeht, dann ist dies eine gute Zeit, die Schüler mit Übungen in Achtsamkeit bekannt zu machen. Hierbei erhalten sie Werkzeuge zur Selbstregulation. Wer als Fünftklässler mit einfachen Übungen gelernt hat, achtsam zu sein, in den Körper hineinzuspüren und sich von dem inneren Selbstgespräch zu distanzieren, ist für den Sturm der Pubertät und die Schwierigkeiten des Lebens besser gerüstet.“
Vera Kaltwasser (Gymnasialschul-Lehrerin, MBSR-Lehrerin, Autorin von „Achtsamkeit in der Schule“)
Eine Herzensangelegenheit ist für mich die Vermittlung von Achtsamkeit und Stressbewältigung im Kontext Schule. Eine gute Schule braucht gesundes Personal und gesunde Schüler, die sich wohlfühlen und für sich und andere da sein können. Kinder, die am Achtsamkeits-Training teilnehmen, werden aufmerksamer, gelassener und empathischer. Sie können sich bei Angst oder Wut schneller beruhigen, zum Beispiel bei Prüfungsangst oder Streit unter Freunden. Die Fähigkeit, im Moment anwesend zu sein, ist eine wichtige Voraussetzung zum effektiven Lernen. Achtsamkeit unterstützt die Freude am Fragen, Erforschen, Erkennen und Erleben. Sie bietet eine Möglichkeit, mit Druck und Ängsten bewusster umzugehen, anstatt sich von ihnen überwältigen zu lassen und hilft im Schüler- und Lehreralltag mehr innere Ruhe und Gelassenheit zu erlangen.
Das Achtsamkeits-Training findet auf der Wahrnehmungs- und Erfahrungsebene in Form von verschiedenen Übungen statt.
Bei den ersten Übungen lernen die Kinder oft zunächst, sich für ein paar Minuten auf den Atem, auf den Körper oder auf Geräusche zu konzentrieren. Sie üben, immer wieder die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken und in Kontakt mit sich selbst zu sein. Schritt für Schritt lernen sie, ihre Gedanken und Gefühle mit freundlicher Neugier und Offenheit zu beobachten. Das hilft ihnen dabei, überlegter zu handeln. Wie alle Lernvorgänge verändert dieses Training das Gehirn: z.B. werden durch die Übungen Areale im Gehirn verstärkt, die für die Impulskontrolle verantwortlich sind.
Bei regelmäßiger Übung der Achtsamkeitspraxis profitieren Schüler und Lehrer z.B. in Form von verbesserter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung, erhöhten Selbstregulationsfähigkeiten und einem verbesserten und freundlicheren Umgang mit sich und anderen auch in schwierigen Situationen.